Jeder Stadtplan, überhaupt jede Landkarte ist zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits in Teilen veraltet. Die Zeitspanne zwischen der Aufnahme der topographischen Gegebenheiten und der Herausgabe einer fertigen Karte ist zu lang, als dass nicht inzwischen Veränderungen der natürlichen Situation eintreten könnten. Zwar werden viele Karten regelmäßig berichtigt und neu herausgegeben, aber auch dieser Prozess benötigt Zeit, in der sich die Wirklichkeit dynamisch weiter entwickelt. Es lässt sich also für keine Karte ein Stichtag festlegen, an dem sie mit der Wirklichkeit hundertprozentig übereinstimmt.
Topographische Karten sind immer datiert. Sie weisen aus, wann sie herausgegeben wurden und wann das jeweilige Kartenblatt aktualisiert wurde, z.B. "Preußische Landesaufnahme 1901. Berichtigt 1927, einzelne Nachträge 1932. Nachtrag der Reichsautobahn 1943". "Berichtigt" bedeutet hier, dass das entsprechende Blatt in allen Teilen geprüft wurde und praktisch einer Neuaufnahme entspricht. "Nachträge" sind Aktualisierungen einzelner, besonders wichtiger Objekte. Hier gibt es über den Aktualitätsstand keinen Zweifel.
Ganz anders bei Stadtplänen. Nach meinem Eindruck enthält höchstens ein Drittel der Pläne eine eindeutige Datumsangabe. Manchmal hilft ein Blick auf den Kartenumschlag oder in das Straßenverzeichnis. Einige Pläne haben, meistens am unteren Rand, einen Genehmigungsvermerk oder ein Aktenzeichen mit Jahreszahl. Straube hat regelmäßig unten rechts oder links in seine Pläne spiegelschriftlich das Auflagedatum eingedruckt. Daraus wird aber auch nicht immer deutlich, ob es sich wirklich um das Datum der letzten Aktualisierung handelt, oder nur um das der jeweiligen unveränderten Neuauflage. Gerade bei Plänen aus der umittelbaren Nachkriegszeit kann man davon ausgehen, dass die kartographischen Grundlagen noch aus der Zeit vor dem Krieg stammen. So gibt es nur wenige Stadtpläne, die die Kriegszerstörungen (Ausnahme der Falk Patent-Stadtplan von 1948) oder die Überbleibsel nationalsozialistischen Stadtumbaus erkennen lassen.
Ein weiterer Ansatz ist es, den Plan bei Schulz, " Stadtpläne von Berlin 1652 bis 1920" (siehe Literaturverzeichnis) zu suchen. Alle dort erfassten Pläne sind mit einer Datumsangabe versehen.
Wie kann man, wenn all das nicht weiterführt, näher eingrenzen, von wann ein Plan stammt?
Ganz klar: man sucht nach Veränderungen, deren Datum bekannt ist. Sind sie im Plan schon eingetragen, ist er vermutlich später erschienen. Sind sie es noch nicht, ist er vermutlich früher erschienen.
Zum Beispiel der Urbanhafen in Kreuzberg: Er wurde im Zuge des Ausbaus des Landwehrkanals im November 1895 dem Verkehr übergeben und 1963/64 wieder zugeschüttet. Einen anderen Datierungsansatz bieten Namensänderungen von Straßen oder Plätzen: heute Theodor-Heuss-Platz; ein Blick in Kauperts Straßenführer sagt uns: Alter Name von 1906 bis 1933 war Reichskanzlerplatz, von 1933 bis 1945 Adolf-Hitler-Platz, dann bis 1963 wieder Reichskanzlerplatz und ab 1963 Theodor-Heuss-Platz. Weitere Hinweise können sich aus dem Datum der Inbetriebnahme von Bahnhöfen ergeben. Diese Daten lassen sich durch eine Suche in der Wikipedia meistens ermitteln.
Ich habe die von mir zur Datierung einmal ermittelten Ereignisdaten in einer Tabelle zusammengetragen, auf die ich immer wieder zurückgreife.
Wenn Sie die Stichworte in eine Suchmaschine eingeben, bekommen Sie (meistens in der Wikipedia) nähere Informationen.
So kann man sich langsam an den Erscheinungszeitraum eines Stadtplans heranarbeiten. Allerdings ist das immer mit einer gewissen Unschärfe behaftet.
Auf manchen Stadtplänen sind bereits Planungen vorweggenommen, die später nicht umgesetzt wurden. Manch andere Pläne weisen einige Veränderungen aus, während andere Veränderungen unberücksichtigt bleiben. Je nach dem, auf welche Merkmale man schaut, erhält man unterschiedliche Hinweise, für welche Zeit der Plan aktuell ist. Vielfach ist eine Datierung nur in der Gesamtschau und im Vergleich mit anderen Auflagen des selben Plans oder anderen Plänen aus der selben Zeit möglich. Bitte berücksichtigen Sie bei allen zeitlichen Einordnungen der Stadtpläne in meiner Sammlung diese mögliche Unschärfe, denken Sie ein "etwa" oder ein "um" bei den Zeitangaben dazu.
Bei gebundenen Stadtplänen mit Straßenverzeichnissen oder Stadtatlanten kann es sich auch lohnen, im Textteil nach Zeitangaben zu suchen. Im Stadtatlas "Berlin in der Tasche" von 1925 findet sich zum Beispiel nur im Textteil eine Datumsangabe, dort ist nämlich eine "Polizei-Verordnung" zum Berliner Straßenverkehr" vom 6. Januar 1925 abgedruckt. Das gibt einen Hinweis, wann der Atlas erschienen ist, älter als Januar 1925 kann er nicht sein.
Zur Datierung der Ausgaben von "Berlin in der Tasche" gibt es noch einen besonderen Hinweis: Erst die Ausgaben ab 1974 enthalten eine Angabe zum jeweiligen Redaktionsschluss. Das betrifft insgesamt nur vier Ausgaben. In den davorliegenden Ausgaben finden sich keine so eindeutigen Angaben zur Datierung. 1925 und 1926 lässt sich das Erscheinungsjahr aus einem abgedruckten Verordnungstext schließen (s.o.). Für alle weiteren Ausgaben vor 1950 gibt es solche Anhaltspunkte nicht, eine Datierung ist allein durch den Karteninhalt möglich.
Ab der ersten Nachkriegsausgabe 1950 lässt sich das Herausgabedatum aber durch eine unscheinbare Nummerierung mit römischen Ziffern in den Straßenverzeichnissen erschließen. Dort ist, jeweils mit einigen Seiten Abstand, links unten im Textteil, eine Kennung eingedruckt: 1/V, 2/V, 3/V usw. zum Beispiel in der Ausgabe von 1955. Die römische Zahl „V“ steht dabei für das Jahr 1955, die Zahl „X“ in diesen Kennungen steht entsprechend für das Jahr 1960.
Über den Textteil ist also eine zeitliche Einordnung der Nachkriegsausgaben von Berlin in der Tasche möglich.
Den Bestand und die Datierung von "Berlin in der Tasche" in der Berliner Stadtplansammlung können Sie dieser Liste entnehmen.
[Möglicherweise gibt es weitere Ausgaben vor 1950. Für Hinweise darauf wäre ich dankbar]