von Michael Müller, Berliner Stadtplansammlung, aktualisiert am 9. November 2025
Vor rund 100 Jahren, am 25. April 1925, erhält die Ullstein-Chronik in sauberer Tintenschrift den Eintrag
„Erscheint der Taschenatlas „Berlin in der Tasche“ (Preis M 3,-)“

Bild 1 Eintrag in der Ullstein-Chronik, Quelle: Unternehmensarchiv Axel Springer SE
Dieser knappe Eintrag lässt nicht erahnen, dass damit ein überaus erfolgreiches Verlagsprodukt in die Welt gesetzt wurde, das Berliner und Berlinbesucher über 50 Jahre lang zuverlässig begleitet hat.
„Berlin in der Tasche“ war ein kompakter Stadtatlas, der in etwa jährlichem Turnus aktualisiert und neu herausgegeben wurde. In der Berliner Stadtplansammlung finden sich 37 Ausgaben davon. Der Zustand vieler dieser Bände beweist, das „Berlin in der Tasche“ ein Gebrauchsgegenstand war, den seine Besitzer wirklich unterwegs benutzten. Die letzte Ausgabe ist im Dezember 1978 erschienen.
Als Herausgeber firmierte die „Berliner Morgenpost“, erschienen ist der Atlas mit wenigen Jahren Unterbrechung im Ullstein Verlag.
Das 100jährige Jubiläum von „Berlin in der Tasche“ ist ein guter Anlass, auf diesen Stadtatlas, aber auch auf seine zahlreichen Vor- und Nachfahren zurückzuschauen.
Frühe Stadtatlanten
Die Idee, eine Karte von Berlin und seiner Umgebung in Atlasform herauszubringen, war im Jahr 1925 an sich nicht neu.
Es ging immer darum, das jeweilige Stadtgebiet, mit seinen Vororten oder seinem Weichbild, in möglichst handlicher Form abzubilden. Die frühen Stadtatlanten mussten dabei nur die Fläche abbilden, die Berlin als Reichshauptstadt vor dem Ersten Weltkrieg hatte, also rund 60 bis 65 km².
Peip’s Taschen-Atlas von Berlin und Umgebung, ab 1893
Bild 2 aus Peip’s Taschen-Atlas von Berlin und Umgebung, 1893, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Dieser von Christian Peip bearbeitete Atlas in 16 Sektionen wird hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es handelt sich um keinen Stadtatlas, sondern um eine Darstellung der Reichshauptstadt und von Teilen der Provinz Brandenburg im relativ kleinen Maßstab von 1:150.000. Der Atlas enthält also Übersichtkarten, die bestenfalls zur Orientierung bei Wanderungen im Umland geeignet waren. Drucktechnisch und grafisch waren die Karten sehr ansprechend gestaltet. Dieser Atlas war so erfolgreich, dass er erweitert bis Ende der 1920er Jahre herausgegeben wurde. |
Mende’s Taschenatlas von Berlin, 1904
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Bereits 1904 erschien im Verlag von Alfred Mende in Berlin „Mende’s Taschen-Atlas von Berlin und seinen Vororten“. Der Kartenteil enthält 84 Seiten, die als „Sectionen“ bezeichnet werden, im Maßstab 1:18.000. Der Atlas deckt das Gebiet des Berliner S-Bahnrings großzügig ab und reicht diagonal von Tegel bis Schöneweide. |
Bild 3 Mende's Taschen-Atlas, 1904, Einband, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 4 Blattübersicht von Mende's Taschen-Atlas, 1904, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Im Vorwort zu dem Atlas merken die Herausgeber an, „Für die vielen Fremden, welche alljährlich zu längerem oder kürzerem Aufenthalt nach der deutschen Reichshauptstadt kommen, sowie für das grosse Heer der Stellensuchenden ist ein zuverlässiger Wegweiser durch Berlin von grosser Bedeutung.“ Zum besonderen Nutzen der Atlasform erklären sie, „Der wichtigste Teil eines solchen Buches ist der demselben beigefügte Plan von Berlin. Dieser ist immer ziemlich umfangreich, selbst wenn er von den Vororten nur wenig bringt. Ist nun ein solcher Plan ungeteilt, so leistet er zwar im Zimmer, wo man ihn auf dem Tische ausbreiten kann, gute Dienste, ist aber, wenn man ihn auf einer Wanderung durch das Strassengewirr der Weltstadt gebrauchen will, von geringem Wert, da seine Benutzung stets unbequem und zeitraubend, bei ungünstigem Wetter sogar unmöglich ist.“ |
Damit ist die Zielgruppe, an die sich Stadtatlanten in erster Linie richteten, kurz und prägnant beschrieben: Es sind alle Menschen, die in der großen Stadt unterwegs sind und Orientierung benötigen. Man könnte auch sagen, wer 1904 Mende’s Taschenatlas benutzt hat, würde heute Google Maps verwenden.
Bild 5 Mende's Taschen-Atlas, Section 49/50, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Ob Mende‘s Taschenatlas den Ansprüchen seiner Herausgeber tatsächlich gerecht werden konnte, darf bezweifelt werden. Er enthält zwar einen umfangreichen Textteil mit Straßenverzeichnis und vielen Informationen zu Verkehr, Gesundheit und Kultur, aber die spärlichen Hausnummerierungen im Kartenteil erschweren es, eine im Text angegebene Adresse auf der Karte zu finden. Außerdem trägt die Aufteilung der Karte in 84 Sektionen nicht zur Übersichtlichkeit bei. Der großräumige Überblick ist nicht gegeben und es ist kaum möglich, mit diesem Atlas einen Weg vom einen Ende der Stadt zum anderen zu planen. |
Kiesslings Taschenatlas von Berlin und Vororten, 1909
Das mag Alexius Kiessling bewogen haben, seinen „Kiesslings Taschenatlas der Umgegend Berlins“ von 1908 und seinen „Kiesslings Taschenatlas von Berlin und Vororten“ von 1909 in Streifenform herauszugeben.
Bild 6 Kiesslings Taschenatlas von Berlin und Vororten, 1909, Einband, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Der Taschenatlas von Berlin enthält drei von West nach Ost verlaufende Kartenstreifen im Maßstab 1:20.000 mit je 20 Sektionen, die ziehharmonikaartig gefaltet sind. Die Streifen können also wie Buchseiten durchgeblättert werden. Sie können aber auch auseinandergezogen werden und geben dann einen größeren Überblick. |
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[Ähnliche Streifenpläne finden sich auch als Kartenbeilage in älteren Baedeker-Ausgaben, in der Berliner Stadtplansammlung zum Beispiel eine Ausgabe von 1878.] |
Bild 7 Kiesslings Taschenatlas von Berlin und Vororten, 1909, alle Sektionen, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Kiessling erklärt dies in seinen Vorbemerkungen zu dem Taschenatlas so:
„Hier wie dort hat die Zerlegung der dem Atlasse zugrunde liegenden Karte in Streifen es ermöglicht, dem Werkchen die bequeme Form eines Taschenatlasses zu geben, ohne daß auf Vorteile verzichtet zu werden brauchte, wie sie die zusammenhängende Darstellung eines größeren Gebietes auf einer ungeteilten Karte gewährt.“
Die abgebildete Fläche ist knapper geschnitten, als in „Mende’s Taschen-Atlas“. Sie schließt den S-Bahnring im Wesentlichen ein, schneidet aber südlich des Tempelhofer Feldes etwas davon ab. Gleichwohl fällt die Orientierung durch das Streifenformat leichter, als im Mende-Atlas.
Das Groß-Berlin-Gesetz
Die Herausforderung, das Berliner Stadtgebiet auf einem Stadtplan darzustellen, hat sich ab 1920 um ein Vielfaches erhöht.
Am 1. Oktober 1920 trat das "Gesetz über die Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin Groß-Berlin (Groß-Berlin-Gesetz)" in Kraft.
Durch Beschluss der verfassunggebenden preußischen Landesversammlung vom 27. April 1920 wurden 8 Stadtgemeinden, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke zur neuen Einheitsgemeinde Berlin vereint.
Durch diesen Zusammenschluss vergrößerte sich die Stadtfläche schlagartig von rund 70 km² auf 878 km², also um mehr als das zwölffache. Die Einwohnerzahl stieg von rund 1,9 Millionen auf 3,88 Millionen Einwohner.
Nach der Fläche gemessen stieg Berlin von einem Tag auf den anderen zur zweitgrößten Stadt der Welt (nach Los Angeles) auf.
Jeder Versuch, dieses Stadtgebiet auf einer zusammenhängenden Karte darzustellen, die noch für den praktischen Gebrauch unterwegs geeignet wäre, musste scheitern.
„Westermanns Plan der Stadt Berlin“ aus dem Jahr 1936 im Maßstab 1:25.000, der nur die äußersten Randgebiete Berlins in Nebenkarten auslagert, misst zum Beispiel 184 cm mal 120 cm. Das sind über 2,26 m². Für eine Wandkarte ist das kein Problem, aber ganz offensichtlich lässt sich so ein riesiger Bogen Papier nicht mehr unterwegs handhaben.
Die Hersteller von Berliner Stadtplänen standen also vor dem Problem, wie mit dem vergrößerten Stadtgebiet kartographisch umzugehen sei.
Kompromisse
Kompromisse mussten eingegangen werden: Wie lassen sich Übersichtlichkeit und Handlichkeit am besten in Einklang bringen?
Neben den Varianten „Stadtatlas in Buchform“ (Mende) und „Stadtatlas in Streifenform“ (Kiessling) kam nach dem Ersten Weltkrieg noch die Variante eines Stadtplans auf, der sich durch besondere Faltung kleinformatig durchblättern lässt.
In den 1920er Jahren hat der Verlag Voege aus Berlin-Schöneberg Stadtpläne nach dem „System Voege“ herausgebracht, für das er in Anspruch nahm,
„…daß die Pläne, wenn man sie nach rückwärts zusammenfalzt, auch bei Wind und Wetter bequem auf der Straße zu handhaben sind.“
Aber, Achtung:
„Wichtig! Den Plan nie ganz auseinandermachen, sondern stets auf den Teil umlegen, wo man etwas sucht.“
Wer diesen wohlgemeinten Ratschlag missachtet hat, stand vor dem Problem, den „ganz auseinandergemachten“ Plan wieder in der richtigen Form zusammenzufalten. In der Berliner Stadtplansammlung gibt es mehrere Voege-Pläne, deren Vorbesitzern es nicht gelungen ist, die Pläne wieder in ursprünglicher Form zusammenzulegen.
Teilweise bestand die Lösung auch darin, einen Stadtplan in mehreren Ausgaben herauszugegeben, die verschieden große Flächen des Stadtgebiets darstellten und entsprechend verschieden große Abmessungen hatten. Jeder Nutzer konnte so entscheiden, wie groß die passende Karte für seine Zwecke sein sollte.
So gab der Verlag für heimatliche Kultur Willy Holz (Silva Verlag) ab Mitte der 1920er Jahre die Stadtplanausgaben A, B und C heraus.
Ausgabe A: Fläche des Berliner S-Bahn-Rings, ähnlich dem Taschen-Atlas von Mende.
Ausgabe B: Erweiterte Fläche gegenüber Ausgabe A, diagonal etwa von Tegel bis Schöneweide und von Marzahn bis Onkel Toms Hütte.
Ausgabe C: Diagonal von Spandauer Forst bis Adlershof und von Hohenschönhausen bis Nikolassee.
Obwohl die Ausgabe C bei einem Maßstab von 1:23.000 die Abmessungen 112 cm mal 82 cm hatte, konnten darauf die Außenbezirke nicht abgebildet werden.
Das gesamte Stadtgebiet ließ sich nur auf großen Wandkarten zusammenhängend abbilden. Für den praktischen Gebrauch unterwegs waren andere Lösungen gefragt.
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[Eine weitere Variante besonders gefalteter Stadtpläne sind die allseits bekannten, „patentgefalteten“ Falk-Pläne. Die erste Ausgabe des Patent-Stadtplans Berlin mit viersprachiger Legende und differenzierter Darstellung von „bebaute Flächen“, „teilzerst. Gebäude“ und „totalzerst. Gebäude“ erschein allerdings erst 1948. Eine ähnlich differenzierte Darstellung des Gebäudezustands findet sich dann auch in den ersten Nachkriegsausgaben von „Berlin in der Tasche“.] |
Die erste Ausgabe von Berlin in der Tasche erscheint
Bild 8a Berlin in der Tasche, 1925, Einband, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Am 25. April 1925, fast auf den Tag genau fünf Jahre nach Verabschiedung des Groß-Berlin-Gesetzes, erschien die erste Ausgabe von „Berlin in der Tasche“. Von dieser ersten bis zur letzten Ausgabe (1978) trat mit kurzer Unterbrechung nach dem Krieg die „Berliner Morgenpost“, eine der großen und traditionellen Tageszeitungen Berlins, als Herausgeberin von „Berlin in der Tasche“ auf. Dieser Stadtatlas war in klassischer Buchform, mit festen Deckeln, im Format 11,5 cm mal 19 cm gebunden. Der Kartenteil hat Doppelseiten von 20 cm mal 18 cm. Die Ausgabe hat 52 Blätter, überwiegend Doppelseiten, die das bewohnte Stadtgebiet im Maßstab 1:30.000 (und in der Innenstadt 1:12.500) komplett abdecken. Es fehlen nur wenige Wald- und Rieselfeldflächen. Wie eingangs schon angedeutet, war dieser erste Band der Startschuss für eine rund 50 Jahre fortgeführte Serie von Stadtatlanten, die fast im Jahresrhythmus aktualisiert wurden. So ist „Berlin in der Tasche“ vor allem in der synoptischen Betrachtung verschiedener Jahrgänge eine ergiebige Quelle für städtische und städtebauliche Entwicklungen. Bis 1974 waren die Atlanten nicht datiert. Davor kann ihr Erscheinungsdatum also nur aufgrund anderer Merkmale erschlossen werden.
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Bild 9 Berlin in der Tasche, 1925, Textseite 75, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Für die Erstausgabe von 1925 ergibt sich das genaue Erscheinungsdatum aus der Ullstein-Chronik. Außerdem enthält dieses Bändchen im Textteil den Abdruck einer „Polizei-Verordnung zum Berliner Straßenverkehr“, die der Polizeipräsident am 6. Januar 1925 ausgefertigt hat. Auch daraus ergibt sich zwingend, dass der Atlas nicht vor 1925 erschienen sein kann. |
Auch die nächste, äußerlich gleich aussehende Ausgabe von 1926 lässt sich durch die im Textteil abgedruckte „Polizei-Verordnung betr. Regelung des Berliner Straßenverkehrs“ vom 31. Mai 1926 zeitlich einordnen.
Bis etwa 1930 erschienen weitere Ausgaben in Buchform, die sich von der Erstausgabe äußerlich nur dadurch unterscheiden, dass sie nach 1926 einen Leineneinband erhielten. Die kartographische Gestaltung und die Herstellung des Atlasses lag bei den ersten Ausgaben beim traditionsreichen Verlag „Carl Flemming u. C.T. Wiskott AG“. (linkes Bild)
Um 1929 übernahm der „Verlag für heimatliche Kultur Willy Holz“ aus Berlin, der auch als „Silva-Verlag“ firmierte, zunächst nur die Herstellung von „Berlin in der Tasche“. Die Kartographie blieb noch unverändert. (rechtes Bild)
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| Bild 10 Berlin in der Tasche, 1925, Legende, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 11 Berlin in der Tasche, 1929, Legende, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Berlin in der Tasche in neuem Gewand
Ab etwa 1932 übernahm der Silva Verlag auch die Kartographie. Die Aufmachung des Atlasses änderte sich nun grundlegend:
- Die Kartographische Gestaltung wurde an die Stadtpläne aus dem „Verlag für heimatliche Kultur“ angepasst,
- der Blattschnitt wurde geändert,
- die Karten erhielten den Maßstab 1:20.000 und 1:15.000 für die Innenstadt,
- der feste Einband wurde zugunsten eines flexiblen Einbands (Broschur) aufgegeben,
- das Format änderte sich auf 20 cm mal 23 cm,
- der Textteil hatte nur das halbe Format 11 cm mal 20 cm,
- der Einband war so vorgefaltet, dass sich der Kartenteil zur Aufbewahrung um den Textteil herumlegen ließ und der zusammengelegte Atlas das taschentaugliche Format 12 cm mal 20 cm hatte.
Eine Besonderheit stellte die mit dem neuen Blattschnitt eingeführte Doppelseite 6/7 dar: Im Maßstab 1:15.000 zeigt sie die Berliner Innenstadt in West-Ost-Richtung vom „Knie“ (heute Ernst-Reuter-Platz) bis zur Jannowitzbrücke. Diese Doppelseite wurde in fast unverändertem Blattschnitt bis zur Ausgabe 1965 fortgeführt.
Bild 12 Berlin in der Tasche, 1932, Seite 6/7, Quelle: Berliner Stadtplansammlung
Vor- und Rückseite des Einbands waren durch die Faltung vertikal in zwei Hälften geteilt. Die Hälfte zum Buchrücken trug nun den Titel („Berlin in der Tasche…“) und die andere eine stilisierte Vogelschauansicht von Westen über Schloss und Dom zum Roten Rathaus und der Nikolaikirche.
Bild 13 Berlin in der Tasche, 1932, Vorderseite,Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 14 Berlin in der Tasche, 1932, Rückseite,Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
[Allerdings wurde für die Rückseite zunächst einfach eine spiegelverkehrte Ansicht der Vorderseite verwendet. Die stimmte natürlich überhaupt nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen überein.] |
In diesem Format passte Groß-Berlin in eine Sakkotasche und allemal in ein Handschuhfach. Diese Aufmachung war so zweckmäßig, dass sie im Laufe der Zeit (bis heute) zahlreiche Nachahmungen gefunden hat.
„Berlin in der Tasche“ blieb äußerlich bis Kriegsende im Wesentlichen unverändert. Der „Spiegeltrick“ auf der rückseitigen Ansicht wurde spätestens in der Ausgabe von 1940 korrigiert, Vor- und Rückseite zeigten dann die gleiche Ansicht.
Inhaltlich wurde der Atlas bis 1942 regelmäßig aktualisiert und neu herausgegeben. Die Kartographie blieb beim Verlag für heimatliche Kultur Willy Holz.
Politische Zwänge
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Auch die politischen Veränderungen in Deutschland und in Berlin spiegeln sich in den Aktualisierungen von „Berlin in der Tasche“. Seit der Machtergreifung 1933 werden im Textteil auch die Berliner Geschäftsstellen der NSDAP genannt. |
| Bild 15 Berlin in der Tasche 1935, Textseite 92, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
1934 zwangen die Nationalsozialisten die Familie Ullstein, den Ullstein-Konzern für einen Bruchteil des tatsächlichen Werts zu verkaufen. Die Änderung der Eigentumsverhältnisse wurde zunächst nicht nach außen erkennbar gemacht. Erst 1937 wurde der Ullstein Verlag, in dem die Morgenpost erschien, in „Deutscher Verlag“ umbenannt. Das Ullstein-Druckhaus in Berlin Tempelhof hieß fortan „Deutsches Haus“.
Der Ullstein Verlag wurde bis 1937 in den Atlasausgaben genannt. Ab 1938 hieß es „herausgegeben von der Berliner Morgenpost im Deutschen Verlag, Berlin SW 68“. Bemerkenswerter Weise wird die Ullstein-Eule aber als Verlagssignet auch für den Deutschen Verlag beibehalten.
Aus der Zeit zwischen 1942 bis 1950 sind in der Berliner Stadtplansammlung keine Ausgaben von „Berlin in der Tasche“ bekannt.
Über den „Verlag für Heimatliche Kultur Willy Holz“ gibt es nur wenige Informationen. Im Berliner Adressbuch sind bis 1943 unter der Anschrift "Hornstr. 6, SW 61" Einträge zu einem Verlagsbuchhändler Willy Holz und unter der Anschrift "Kleinbeerenstr. 28, SW 11" zum „Verlag für Heimatliche Kultur Willy Holz“ zu finden.
| Im Branchenverzeichnis gibt es nur bis 1940 unter der Rubrik „Landkarten und Globen“ noch einen Eintrag für den „Verlag für Heimatliche Kultur Willy Holz SW 11 Kleinbeerenstr. 28 T. Nr 19 38 59“. | Bild 17 aus dem Berliner Adressbuch 1940, Zweiter Band: Branchen-Verzeichnis,Quelle: |
In den Branchenverzeichnissen von 1941 bis 1943 ist dieser Eintrag nicht mehr enthalten. Nach 1942 ist auch keine Verlagstätigkeit mehr feststellbar.
Aus einer IHK-Mitgliederakte zum Verlag für Heimatliche Kultur (Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv, Sign K1/1/93308) ergibt sich, dass das Gebäude, in dem sich das Unternehmen befand, im Krieg zerstört wurde. Nach 1945 wurde keine Gewerbezulassung mehr für Willy Holz erteilt. Er verstarb am 2. Dezember 1949.
Am 19. April 1960 wurde von Amts wegen das Erlöschen der Firma im Handelsregister eingetragen.
Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg
Der alliierte Kontrollrat verbot nach Kriegsende alle deutschen Zeitungen. Kein Blatt durfte mehr unter altem Namen herausgegeben werden.
Schon ab August 1945 nutzte die amerikanische Militärregierung das ehemalige Ullstein Haus wieder als Druck- und Verlagshaus. Nach der Liquidation des „Deutschen Verlages“ durch die amerikanische Militärregierung wurde aus den Resten des ehemaligen Ullstein-Besitzes der "Verlag des Druckhauses Tempelhof Vorm. Deutscher Verlag Berlin" ins Leben gerufen. Dessen Verlagssignet war nicht mehr die Ullstein-Eule, sondern eine stilisierte Darstellung des Druckhauses Tempelhof.
Die ehemalige Berliner Morgenpost erschien dort ab 1949 zunächst als "Berliner Anzeiger".
Der Familie Ullstein gelang es erst 1952, nach juristischen Auseinandersetzungen, wieder die Reste ihres Unternehmens in Besitz zu nehmen. Rudolf Ullstein, ein Sohn des Verlagsgründers, ließ im September 1952 die Berliner Morgenpost wieder unter ihrem alten Namen erscheinen.
1947: Berlin in der Tasche, zweiter Band
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Im November 1947 gab der Verlag des Druckhauses Tempelhof im Oktavformat ein brochiertes Buch mit dem Titel „Wer ist wo in Berlin?“ heraus, das auf dem Umschlag als „Berlin in der Tasche, zweiter Band“ bezeichnet wurde. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen Stadtatlas, sondern ein „Adressbuch des öffentlichen Lebens“. Nach dem Vorwort sollte das Buch „… den seit vielen Jahren bekannten und beliebten Stadtplan „Berlin in der Tasche“ ergänzen und „…ein praktisches Hilfs- und Handbuch sein für alle, die am öffentlichen Leben und am Wiederaufbau von Groß-Berlin persönlich oder beruflich interessiert sind.“ Dem Buch ist nur eine Übersichtskarte von Berlin im Maßstab 1:100.000 beigelegt, die „Gross Berlin“ mit den Sektoren und Verwaltungsbezirken darstellt. Die Kartographie dieser Karte stammt von Max Spindler, gedruckt wurde sie 1947 im Druckhaus Tempelhof. |
Bild 18 Berlin in der Tasche, Zweiter Band, 1947,Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 19 Ausschnitt aus "Gross Berlin Sektoren und Verwaltungsbezirke", 1947,Beilage zu Berlin in der Tasche Band II, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Interessanterweise hat Spindler die „Interessengebietsgrenzen“, die bereits 1945 zwischen Briten und Sowjets und zwischen Franzosen und Sowjets in Abweichung von der Berliner Stadtgrenze als Grenzen zwischen ihren Besatzungsgebieten vereinbart wurden, unberücksichtigt gelassen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit, als sich alle vier Alliierten noch gemeinsam für Gesamtberlin verantwortlich fühlten, kam es zu Gebietsaustauschen zwischen den Sowjets einerseits und den Briten und den Franzosen andererseits, die das Leben der davon betroffenen Einwohner nachhaltig verändert haben. Mehr dazu finden Sie unter diesem Link. In den Atlasausgaben ab 1950 sind diese Grenzen, die de facto das damalige Berliner Stadtgebiet umschrieben haben, aber verzeichnet. |
Weitere Ausgaben dieses zweiten Bandes von "Berlin in der Tasche", die mit einem tatsächlich erschienenen Stadtatlas korrespondieren, hat es offenbar nicht gegeben.
1948: Druckvorlagen

Bild 20 Druckvorlage (Situationsdarstellung) für Berlin in der Tasche Blatt 44/45, zwischen 1946 und 1948, Quelle: Berliner Stadtplansammlung, Landesarchiv Berlin
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Max Spindler befasste sich anscheinend spätestens ab 1947 mit einer Neubearbeitung von "Berlin in der Tasche". [Alle Unterlagen zum Herstellungsprozess von „Berlin in der Tasche“ hat der Verfasser nach Digitalisierung dem Landesarchiv Berlin übergeben.] |
Bild 21 Ausschnitt aus Bild 20 |
Bild 22 Berlin in der Tasche, 1950, Ausschnitt aus Blatt 45,Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Im Atlas von 1950 ist dann tatsächlich auf Seite 45 das „ehem. „UNRRA“-Lager“ eingetragen. Die Drucknegative müssen also schon zwischen 1946 und 1948 entstanden sein, sie wurden dann vor Drucklegung der ersten Nachkriegsausgabe aktualisiert. |
Außerdem gibt es einen Probedruck der oben bereits erwähnten Doppelseite 6/7, der sich auf 1948 datieren lässt. Das Blatt ist der Doppelseite der Ausgabe 1950 sehr ähnlich, aber die weiß dargestellten Brachflächen im Großen Tiergarten werden noch nicht als „Ackerland“ bezeichnet und im Invalidenpark westlich des Stettiner Bahnhofs steht noch die Invalidensäule („Inval. Säule“), ein Denkmal, das im August 1948 abgerissen wurde.
Bis zur Ausgabe 1955 wird bei der Darstellung der Bebauung ausdrücklich unterschieden zwischen „überwiegend benutzbar“ und „überwiegend zerstört“. Der Probedruck diente anscheinend auch zur Erprobung, wie beide Kategorien farblich am besten differenzziert werden können. Handschriftlich ist am oberen Rand vermerkt: “Neuer Versuch Zerstört gelb echt + 1/3 Rot | Bebaut gelb echt + Rot 2/3“.

Bild 23 Berlin in der Tasche, Probedruck des Blattes 6/7, etwa 1948, Quelle: Berliner Stadtplansammlung
1950: Erste Ausgabe von „Berlin in der Tasche“ nach dem Zweiten Weltkrieg
Die erste Ausgabe von „Berlin in der Tasche“ nach dem Zweiten Weltkrieg erschien dann im April 1950. Allerdings nicht als „Stadt-Atlas der Berliner Morgenpost“, die ja noch nicht wieder neu gegründet worden war. Auf den ersten Blick scheint diese Ausgabe äußerlich unverändert gegenüber den früheren zu sein. Auf den zweiten Blick gibt es durchaus Änderungen:
- Das Verlagssignet (in diesem Fall das stilisierte Druckhaus Tempelhof) taucht ab dieser Ausgabe nicht nur im Textteil, sondern auch auf dem vorderen Umschlag auf,
- der Schriftzug auf der quer über Vor- und Rückumschlag laufenden Banderole lautet nicht mehr „Stadt-Atlas der Berliner Morgenpost“, sondern „Stadt-Atlas mit Straßen- und Adressenverzeichnis“,
- die Umschlagrückseite zeigt nun die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Umgebung im (unbeschädigten) Vorkriegszustand,
- die Kartographie stammt nun von Max Spindler. Die Überschrift des Textteils weist darauf hin: “ Berlin in der Tasche, Stadt-Atlas mit Straßen- und Adressenverzeichnis, Neubearbeitet von Max Spindler“.
„Berlin in der Tasche“ präsentierte sich nun in einem neuen Kartenbild im Maßstab 1:25.000 und für die Innenstadt 1: 16.500. Wieder gibt es einen neuen Blattschnitt, der Atlas hat jetzt einen Umfang von 64 Blatt.
Der Inhalt von Blatt 6/7 wurde gegenüber dem in Bild 23 gezeigten aktualisiert: Die Invalidensäule fehlt und der Tiergarten besteht nun aus "Ackerland" und "Kleingärten". Die Farbgebung wurde ebenfalls überarbeitet und wirkt nun frischer und kontrastreicher.

Bild 23a Berlin in der Tasche, Blatt 6/7, 1950, Quelle: Berliner Stadtplansammlung
1952 bis 1960: Kontinuität
1951 gab es anscheinend keine Neuausgabe. Die „Im Text- und Kartenteil berichtigte Neuauflage“ von 1952 erschien im Mai 1952, vor der Neugründung der Berliner Morgenpost. Diese wird also noch nicht als Herausgeberin genannt, aber die Ullstein-Eule hat bereits das Signet des Druckhauses Tempelhof verdrängt und präsentiert sich auf dem Umschlag.
Bild 24 Berlin in der Tasche, 1952, Vorderseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 25 Berlin in der Tasche, 1952, Rückseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Ab der Ausgabe 1953 war „Berlin in der Tasche“ dann wieder „Der Stadt-Atlas der Berliner Morgenpost“. Bis 1960 erschienen äußerlich unveränderte, jährlich „Im Text- und Kartenteil berichtigte“ Neuauflagen in der Bearbeitung von Max Spindler.
1961: Neue Illustrationen
Ab 1961 änderten sich dann die Umschlagillustrationen. Der vordere Umschlag zeigte nun eine Vogelschauansicht der Straße Unter den Linden zwischen Brandenburger Tor und Marx-Engels-Platz, also von West nach Ost. Die Rückseite zeigte nach wie vor die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, nun aber im aktuellen Zustand, mit der Turmruine der alten Kirche und dem modernen Neubau des Architekten Egon Eiermann. Der Neubau wurde von 1959 bis 1963 errichtet, war 1961 also noch nicht fertiggestellt.
Bild 26 Berlin in der Tasche, 1961, Vorderseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 27 Berlin in der Tasche, 1961, Rückseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Äußere Gestaltung, Kartographie und Blattschnitt blieben bis 1965 unverändert.
Da jährlich aktualisierte Ausgaben erschienen, ist es möglich, Veränderungen über die Jahre im direkten Vergleich der Kartenblätter nachzuvollziehen. Damit ist „Berlin in der Tasche“ eine wertvolle Informationsquelle für die Stadtentwicklung in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg.
1966: Neue Inhalte, neues Erscheinungsbild
Die Ausgabe von 1966 brachte erhebliche Veränderungen. Die gezeichneten, bunt und heiter wirkenden Umschlagillustrationen mussten je einer schwarz-weißen Nacht- und Tagaufnahme der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche weichen. Ausgerechnet für die Vorderseite wurde die düster und abweisend wirkende Nachtaufnahme verwendet, auf der der Mercedes-Stern auf dem Europacenter wie eine Leuchtreklame hervorsticht. Auf der Tagaufnahme auf der Rückseite des Atlasses hebt sich dieser Stern ebenfalls so deutlich vom Himmel ab, als sei er extra nachbearbeitet worden. Das Ganze wirkt wie eine subtile Werbebotschaft.
Bild 28 Berlin in der Tasche, 1966, Vorderseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 29 Berlin in der Tasche, 1966, Rückseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Viel entscheidender sind aber die inhaltlichen Änderungen.
| Der Blattschnitt wurde völlig geändert und auf ein System von Zeilen und Spalten umgestellt. Der Atlas wurde nicht mehr fortlaufend nummeriert, sondern die Blattnummer aus der ersten Ziffer für die Zeile und der zweiten Ziffer für die Spalte gebildet. Damit sind die Blattanschlüsse sofort klar: nördlich (oberhalb) von Blatt 35 liegt Blatt 25, östlich (rechts) davon Blatt 36. | Bild 30 Berlin in der Tasche, 1966, Blattübersicht, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Die Zeilen lassen sich in West-Ost Richtung ohne Sprünge durchblättern. Das erinnert etwas an Kiesslings Taschenatlas von 1909 (s.o.). Außerdem überlappen sich ab der Ausgabe von 1966 die Doppelseiten etwas. Dadurch lässt sich am Blattrand der Anschluss zur nächsten Seite leichter finden.
Bild 31 Berlin in der Tasche, 1966, Innenstadtplan, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Seit 1932 gab es auf der Doppelseite 6 und 7 den Innenstadtplan, der in West-Ost-Richtung vom „Knie“ bzw. Ernst-Reuter-Platz bis zur Jannowitzbrücke reichte. Dieser Plan hatte einen größeren Maßstab (1:15:000 bzw. 1:16.500) als die Hauptseiten (1:20.000 bzw. 1:25.000) und bildete, gleich nach der Blattübersicht, sozusagen den Einstieg in den Kartenteil. Ab der Ausgabe 1966 wurde der Innenstadtplan mit der Blattnummer 79 ans Ende des Kartenteils verbannt und auf das Blatt 7 der früheren Ausgaben reduziert. |
Damit gab es nur noch vom Ost-Berliner Zentrum eine Karte in größerem Maßstab. Die bewährte Kartographie von Max Spindler blieb aber weiterhin unverändert.
Die letzten Ausgaben
1974 erhielt der Atlas – nach fast 50 Jahren – erstmals eine Datumsangabe. Auf der Titelseite des Textteils findet man die Angabe: "Redaktionsschluß April 1974“.
Mit Redaktionsschluss im Mai 1975 erschien danach anscheinend erst im März 1976 die nächste Ausgabe, wieder einmal in neuer Aufmachung. Bisher war der Textteil mit dem Straßenverzeichnis und weiteren Informationen halb so breit wie der Kartenteil, der sich bei geschlossenem Atlas um den Textteil herumlegte, so dass ein kompaktes, längsrechteckiges Format entstand, das in eine Jackentasche passte. Ab 1976 waren Text- und Kartenteil gleich groß. Theoretisch ließ sich der Atlas immer noch in der Mitte falten, das hielt aber nicht mehr zusammen und war in dieser Form sehr dick. „Berlin in der Tasche“ passte nicht mehr in die Tasche!
Bild 32 Berlin in der Tasche, 1975/1976, Vorderseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 33 Berlin in der Tasche, 1975/1976, Rückseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Der neu gestaltete Umschlag zeigte jetzt auf Vor- und Rückseite je vier verschiedene Fotos von Berliner Sehenswürdigkeiten und wirkt wieder etwas freundlicher, als die vorangegangenen Ausgaben.
Die Ausgabe 1977 („Redaktionsschluß November 1976“) erschien erneut in neuem Umschlag, Vor- und Rückseite zeigen dasselbe große Farbfoto vom Breitscheidplatz und der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Das Titelbild der letzten Ausgabe mit Redaktionsschluss Oktober 1978 entspricht dem der Ausgabe 1977.
Bild 34 Berlin in der Tasche, 1978, Vorderseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Auf der hinteren Umschlagseite ist aber erstmalig seit Erscheinen des Atlasses, Werbung geschaltet für das 1970 eröffnete Forum Steglitz, „Das stärkste Einkaufszentrum Berlins“. |
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Nach dieser Ausgabe ist „Berlin in der Tasche“ nach mehr als 50 Jahren sanft entschlafen.
Die Gründe lassen sich nur vermuten:
Max Spindler konnte den Atlas wohl nur bis zur Mitte der 1960 betreuen. Danach ist sein Name im Berliner Telefonbuch nicht mehr feststellbar. Sein Mitarbeiter Heinz Köhler, der viel zur kartographischen Handschrift des Atlasses beitrug, ist, laut einem Nachruf in den „Kartographischen Nachrichten 4/73“, im Jahr 1973 verstorben. Seine Witwe hat den Atlas mit Mitarbeitern von Heinz Köhler noch einige Jahre weiter betreut. Am Ende konnte aber wohl niemand gefunden werden, der bereit war, den Stadtatlas dauerhaft fortzuführen.
Cousins und Cousinen
Das Konzept von „Berlin in der Tasche“ war so überzeugend, dass es einige Nachahmer fand.
Berliner Taschen Atlas
Bild 36 Berliner Taschenatlas, 1950, Vorderseite,Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
1950 erschien im Verlag Paul Landsberger der „Berliner Taschen Atlas“ im Maßstab 1:30.000. Die Seiten waren 20,5 cm mal 19,5 cm groß und ließen sich, wie bei „Berlin in der Tasche“, um den halb so großen Textteil herumlegen. Im Text werden Straßenumbenennungen zwischen 1949 und Februar 1950 aufgeführt. So mag dieser kleine Atlas auch seine Bedeutung für die stadtgeschichtliche Forschung haben. |
Bild 37 Berliner Taschenatlas, 1950, Blatt 2/3, Quelle: BerlinerStadtplansammlung
Buchpläne des VEB Landkartenverlag
Bild 38 Buchplan von Gross-Berlin, 1959, Vorderseite, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Im VEB Landkartenverlag erschien 1959 der „Buchplan von Gross-Berlin“ im Format 27 cm mal 22,5 cm. Text- und Kartenteil hatten das gleiche Format. Dieser Buchplan bildete, wie schon der Titel verriet, das gesamte Berliner Stadtgebiet, Ost- und Westteil, in gleicher Weise ab. |

Bild 39 Buchplan von Gross-Berlin, 1959, Blatt 20/21, Quelle: Berliner Stadtplansammlung
Nach dem Mauerbau 1961 war es dann aber vorbei mit einem Plan von „Gross-Berlin“ aus dem Volkseigenen Betrieb Landkartenverlag. Eine Ausgabe von 1964 nannte sich „Buchplan Berlin Hauptstadt der DDR“ und wirkte deutlich abgespeckt. Das lag daran, dass der Kartenteil auf Ost-Berlin reduziert wurde und nur noch 24 Kartenseiten statt vorher 48 enthielt. Das Straßenverzeichnis war ebenfalls entsprechend dünner und – wie bei den Ausgaben von Berlin in der Tasche bis 1971 - nur noch halb so breit wie die Kartenseiten.
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Ab 1980 wurde dann der „Berlin Hauptstadt der DDR Buchplan“ in Klammerheftung mit 35 Kartenseiten im Maßstab „ca. 1:25000“ vom VEB Tourist Verlag herausgegeben. Im Bestand der Berliner Stadtplansammlung sind zwei Exemplare, die erste Auflage von 1980 und die neunte Auflage von 1990. Beide Pläne, auch der von 1990, zeigen nur den Ostteil der Stadt. Der Westteil ist eine strukturlose Brache, die 1980 mit „Westberlin“ und 1990 mit „Berlin (West)“ bezeichnet wurde. |
| Bild 40 Berlin Hauptstadt der DDR Buchplan, 1980, Blatt 16, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Jeby Bord Atlas 92
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Ein weiterer Stadtatlas, der sich auf 1959 datieren lässt, folgte ebenfalls dem Konzept von „Berlin in der Tasche“: der „Jeby Bord Atlas 92, Berlin Kreuz und Quer“ aus dem „Jeby Verlag Theo Breuning“ ermöglichte die platzsparende Faltung des Kartenteils um den Textteil und nahm einen an Zeilen und Spalten orientierten Blattschnitt vorweg. Insgesamt hat sich dieser Stadtatlas aber nicht durchsetzen können, offenbar gab es nur diese und einige Jahre später eine weitere Ausgabe. |
| Bild 41, 42 Jeby Bord Atlas 92, Berlin Kreuz und Quer, 1959, Vorderseite (links) und Blatt 43 (unten), Quelle: Berliner Stadtplansammlung |

Knick Mich! Berlin
In jüngerer Zeit, etwa ab dem Jahr 2000, erschien im Berliner „Knick Mich“ Verlag Peter Schülke der „Knick Mich! Berlin“ Stadtatlas für Autofahrer. Er erinnert in der Aufmachung etwas an die letzten (ab 1975) Ausgaben von „Berlin in der Tasche“, das fast quadratische Format von 22 cm mal 21,5 cm ist so vorgefalzt, das es sich ebenfalls in der Mitte zusammenlegen lässt. Die Kartenblätter sind im Maßstab 1:20.000 gehalten, für die Innenstadt gibt es Sonderkarten im Maßstab 1:10.500. Das abgebildete Stadtgebiet reicht an den Stadträndern etwas weiter ins Umland als bei „Berlin in der Tasche“ und schließt auch Potsdam mit ein.
Obwohl dieser Atlas mit seiner guten Lesbarkeit und seinen vielfältigen Informationen geeignet gewesen wäre, das Erbe von „Berlin in der Tasche“ zu übernehmen, scheint es nach 2020 keine neuen Auflagen mehr gegeben zu haben.
Laufendhaltung
Städte verändern sich ständig. Es wird gebaut und abgerissen, Straßen entstehen neu oder werden umbenannt, Nutzungen ändern sich. Alle Stadtpläne müssen also regelmäßig aktualisiert, auf dem Laufenden gehalten werden. „Berlin in der Tasche“ wurde nach 1950 fast jedes Jahr aktualisiert und in neuer Auflage herausgegeben.
Wie diese Aktualisierung praktisch durchgeführt wurde, lässt sich lässt sich an Blatt 24 der Ausgaben von 1973 und 1974 nachvollziehen.
| Bild 43 Berlin in der Tasche, 1973, Blatt 24, Quelle: Berliner Stadtplansammlung | ![]() |
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Über Blatt 24 der Ausgabe 1973 wurde eine transparente Folie geklebt, auf der alle notwendigen Änderungen eingetragen und am Rand erklärt wurden. |
Bild 44 Berlin in der Tasche, Korrekturanweisungen für Blatt 24 von 1973 auf 1974, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
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Änderungen im Nahverkehr wurden auf einem gesonderten, zweifarbig gedruckten Kartenblatt vermerkt. Der Kartograph hat mit einem „erl.“ für „erledigt“ jeweils quittiert, die Änderungen für die nächste Ausgabe eingearbeitet zu haben. |
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| Bild 45 Berlin in der Tasche, Korrekturanweisungen für Blatt 24, Nahverkehr, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Bild 46 Berlin in der Tasche, 1974, Blatt 24, Quelle: Berliner Stadtplansammlung |
Das Ergebnis war ein aktualisiertes Atlasblatt. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, dass die Vorwegnahme von Bauplanungen im Rahmen der Kartenaktualisierung zu Fehlern führen kann: Erst in der letzten Ausgabe von 1978 wurde das korrigiert. |
Datierung der Ausgaben von Berlin in der Tasche
Wie schon erwähnt, enthalten erst die Ausgaben ab 1974 eine Angabe zum jeweiligen Redaktionsschluss. Das betrifft insgesamt nur vier Ausgaben. In den davorliegenden Ausgaben finden sich keine so eindeutigen Angaben zur Datierung. 1925 und 1926 lässt sich das Erscheinungsjahr aus einem abgedruckten Verordnungstext schließen (s.o.). Für alle weiteren Ausgaben vor 1950 gibt es solche Anhaltspunkte nicht, eine Datierung ist allein durch den Karteninhalt möglich.
Ab der ersten Nachkriegsausgabe 1950 lässt sich das Herausgabedatum aber durch eine unscheinbare Nummerierung mit römischen Ziffern in den Straßenverzeichnissen erschließen. Dort ist, jeweils mit einigen Seiten Abstand, links unten im Textteil eine Kennung eingedruckt: 1/V, 2/V, 3/V usw. zum Beispiel in der Ausgabe von 1955. Die römische Zahl „V“ steht dabei für das Jahr 1955, die Zahl „X“ in diesen Kennungen steht entsprechend für das Jahr 1960.
Über den Textteil ist also eine zeitliche Einordnung der Nachkriegsausgaben von Berlin in der Tasche möglich.
Den Bestand von "Berlin in der Tasche" in der Berliner Stadtplansammlung und die Datierungen können Sie dieser Liste entnehmen.
[Möglicherweise gibt es weitere Ausgaben vor 1950. Für Hinweise darauf wäre ich dankbar]
Sind Stadtpläne noch zeitgemäß?
„Berlin in der Tasche“ oder einen anderen Stadtatlas oder Stadtplan konnte man früher in fast jedem Auto im Handschuhfach finden. Vielen alten Stücken in meiner Sammlung sieht man den intensiven Gebrauch deutlich an.
Heute sind an deren Stelle Navigationsgeräte oder entsprechende Smartphone-Apps getreten. Diese Geräte sind bequem und komfortabel in der Anwendung, solange sie funktionieren. Der Nutzer steht immer im Mittelpunkt des Geschehens. Er ist der Punkt, um den sich seine Umwelt bewegt. Solange das Navi funktioniert, muss er nicht wissen, wo Norden und wo Süden ist, er muss die räumliche Beziehung zwischen seinem Start- und Zielpunkt nicht kennen, er muss die Topographie nicht kennen, all das nimmt ihm das Navi ab.
Was aber passiert, wenn kein Internet erreichbar ist oder die Stromversorgung abbricht? Wenn das Display schwarz wird, steht der App-Nutzer nicht mehr im Mittelpunkt, sondern in einer Gegend, die er schlimmstenfalls vorher noch nie gesehen hat.
Spätestens in diesem Moment wird der Besitz einer analogen Landkarte und die Fähigkeit, diese zu lesen, zu einem unschätzbaren Vorteil.
Bild 2 aus 
















Bild 19 Ausschnitt aus "Gross Berlin Sektoren und Verwaltungsbezirke", 1947,







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